Angelus Novus

Mein Flügel ist zum Schwung bereit

ich kehrte gern zurück

denn blieb‘ ich auch lebendige Zeit

ich hätte wenig Glück.

Gerhard Scholem, Gruß vom Angelus

Es gibt ein Bild von Klee, das Angelus Novus heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muß so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, daß der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.

(Walter Benjamin: Thesen über den Begriff der Geschichte, IX – gefunden auf http://www.wbenjamin.de/ueber-den-begriff-der-geschichte/ )

Es gibt eine andere Stelle in Benjamins Werk, die besagt, dass die Idee des Fortschritts überhaupt in der Katastrophe begründet werden müsse. Die Aufgabe der Dialektik heute ist es nicht, die Katastrophen aufzuzählen, um den Fortschritt madig zu machen. Das macht schon die “Fortschrittsregierung” der BRD. Fortschritt ist Sturm! Der Engel würde gerne trauern, und vielleicht wäre dies auch moralisch geboten. Aber Geschichte folgt nicht der Moral, sie wird gemacht. Wir tragen unseren Teil dazu bei!

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